Volle Konzentration vor dem nächsten Service: Aussenangreiferin Anja Lutz.
Bild R. Sta.
Die drei Onkel der neuen VC-Kanti-Angreiferin Anja Lutz sind aus ihrer
Handballzeit bei St. Otmar St. Gallen schweizweit bekannt.
VON REINHARD STANDKE
Steht Nichte Anja Lutz seit 2004 auf dem Volleyballfeld, so haben die Brüder
ihrer Eltern vor über 30 Jahren im Handball für Schlagzeilen gesorgt.
Nationaltorhüter Hanspeter Lutz (lange Goalie und später Goalietrainer in St.
Gallen), Rückraumspieler Robert und Flügel Peter Jehle waren beim Schweizer
Olympiaauftritt 1984 der Schweizer Handballer in Los Angeles mit dabei. Während
«Body» Robert Jehle vor allem mit seiner enormen Schusskraft auffiel, hatte
«Geist» Peter Jehle an der WM 1982 in Dortmund im Auftrag des damaligen
Nationalcoaches Sead Hasanefendic für grosse Aufregung gesorgt. Nachdem die
Schweiz in Unterzahl 22 Sekunden vor Schluss zum 16:16 ausgeglichen hatte,
schickte der gewiefte Trainer «Geist» Jehle als sechsten Feldspieler aufs Feld.
Dieser klammerte von hinten an Erhard Wunderlich, als dieser zum Sprungwurf
ansetzte. Das deutsche Team von Vlado Stenzl verpasste dadurch den Sieg, die
Regelwidrigkeit wurde erst nach Ablauf der Protestfrist am Folgetag bemerkt.
Doch zurück von den Handballern in der Familie zu Anja Lutz: Muolen,
Kreuzlingen, Schaffhausen, Muolen – das ist für die 24-Jährige heutzutage
viermal in der Woche die Reiseroute. In Muolen wohnt die von Volley Toggenburg
zum VC Kanti gewechselte Aussen- und Diagonalspielerin, in Kreuzlingen arbeitet
sie zu 100 Prozent als Zollfachfrau bei der Abfertigung von LKW mit
Handelswaren, und in Schaffhausen trainiert sie mit ihrem Team. Einzig am
Montagabend absolviert Anja Lutz das Krafttraining in selbständiger Regie.
Vom Reiten zum Volleyball
Die in Trogen aufgewachsene 184 cm grosse Spielerin stiess mit 13 Jahren zum
Volleyball, als ihre Schwester Nina beim TV Teufen mit diesem Sport begann.
Zunächst ging sie parallel zum Balltraining weiter zum Reiten. Bald merkten
jedoch die Geschwister, dass sie im STV St. Gallen schneller weiterkommen. Nach
sechs Jahren erfolgte der Wechsel nach Wattwil. Mit Volley Toggenburg gelang in
der ersten Saison der direkte Wiederaufstieg in die NLA. «Volleyball ist
spannend, es geht so lange, bis ein Team dreimal 25 Punkte erreicht hat. Bis
dahin kann man das Spiel kehren», erklärt Anja Lutz ihre Vorliebe für diesen
Sport.
Auf dem Feld mag sie es nicht, wenn es ruhig ist: «Ich probiere, die anderen
zu pushen, und will Verantwortung übernehmen», so Lutz, die sich als
aufgeschlossen und lustig beschreibt und so sicher auch Gene ihrer sportlichen
Familie im Blut hat, die nie um einen Spass verlegen war. In der vergangenen
Saison avancierte sie in Wattwil mit klarem Vorsprung zur Topskorerin. Dabei
musste sich Anja Lutz nicht nur im Verein, sondern auch in der Ausbildung zur
Zollfachfrau durchsetzen. Trotz Bedenken angesichts der Doppelbelastung beim
Verein und in der Schule reüssierte die 24-Jährige. «Der Titel Topskorerin war
eine coole Bestätigung, das Bestehen der Ausbildung eine Genugtuung.»
Noch nicht so optimal sei es bislang beim VC Kanti gelaufen, sagt die
aktuelle Schaffhauser Topskorerin. «Ich weiss nicht, ob es am Selbstvertrauen
liegt», meint Lutz. Das Team verstehe sich super. Trainerin Mélanie Pauli habe
ihnen erklärt, auf dem Feld seien die Spielerinnen wie in einer Blase
eingeschlossen, kommunizierten nicht untereinander. Jede sei darauf fokussiert,
ihren Job zu machen. «Können täten wir es, jede Spielerin hat Potenzial». Das
sehe man daran, was ihnen manchmal im Training gelinge.
Der Gegner von morgen Samstag (17.30 Uhr, BBC-Arena), Neuenburg UC, führt in
seinem Kader nur drei Ausländerinnen sowie nicht weniger als neun Schweizerinnen
(Kanti vier) und liegt nach dem vierten Spieltag auf Rang 4. Ob den
Schaffhauserinnen gegen NUC, das mit Viteos (einem kantonalen Energie- und
Wasserversorger) einen neuen Namenssponsor führt, zwei Tage nach deren
Europacupauftritt bei Galatasaray Istanbul der ersehnte Exploit gelingt?
Anja Lutz Aussen-/ Diagonalangreiferin
Geboren:2. April 1991.
Aufgewachsen:Trogen.
Wohnort:Muolen (bei Amriswil).
Grösse:184 cm.
Vereine:STV St. Gallen (2004 bis 2010), Volley Toggenburg (2010 bis 2015), VC
Kanti (seit 2015).
Erfolge:Aufstieg mit Volley Toggenburg in die NLA (2011), Mobiliar
Topskorerin (2014/15).
Hobbys:Volleyball, Familie, Freund, Kollegen,
Beachvolleyball, Squas